Über die Entscheidung der New York Times, ihre Cooking-Facebook-Gruppe aufzugeben.
Anfang März gab die New York Times bekannt, dass sie ihre Facebook-Gruppe „Cooking Community“ (https:// www.facebook.com/groups/nytcooks) aufgeben werde. Doch damit war nicht etwa gemeint, dass man die Gruppe einstellen oder gar löschen werde. Man erklärte in einem Tweet, dass man sich nicht mehr darum kümmern, die Gruppe nicht mehr von Redakteuren moderieren und auch sonst nichts mehr damit zu tun haben wolle. Damit wurde „Cooking Community“ – aber das sind jetzt meine Worte – sozusagen in die Freiheit entlassen, praktisch ausgewildert. Dafür würden 20 bis 30 ehrenamtliche Moderatoren gesucht, gab die NYT noch bekannt.
Die US-Medienbranche reagierte verblüfft: Die Gruppe zählte damals rund 77.000 Mitglieder und viele dachten (darunter auch ich), dass sie ein ganz guter Zubringer für das digitale Bezahlangebot der New York Times sei. Dort gibt es nämlich unter https://cooking.nytimes.com noch eine Cooking-Community, die neben Kochtipps und Rezepten von Usern auch mit Kreationen und Rezepten von Profi- und Sterneköchen aufwartet.
Diese Cooking-Community auf dem digitalen Home-Ground der NYT ist als Sub-Domain angelegt und Teil gesamten digitalenBezahlangebots der NYT. Das Abonnement kostet 1,25 US-Dollar pro Woche oder 40 US-Dollar. Enthalten ist Zugang zu allen digitalen Angeboten und Produkten der New York Times. Rund 130.000 Digital-Abonnenten machen einen Jahresumsatz von ca. 5 Mio. US- Dollar.
In den folgenden Wochen nach der Bekanntgabe wurden in der Medienbranche eine Reihe von Gründen diskutiert. Vor allem auch, weil die New York Times dazu weitgehend schwieg. Ein Artikel von NiemanLab fasste die unterschiedlichen Interpretationsversuche zusammen.
So gab es schon länger Spannungen in der Community: Mitglieder beklagen sich, wenn einer oder mehr der drei Moderatoren – Redakteure der New York Times – einmal für ein oder mehrere Wochen in Urlaub gingen. Während des Shutdowns beklagten sich Mitglieder über andere Mitglieder, die ihre für Dutzende von Gästen eingedeckten Tische per Foto zeigten, obwohl Treffen von größeren Menschengruppen verboten war. Es gab wüste Beschimpfungen und immer heftigere Debatten über Social Distancing. Aber auch über politisch korrekte und politisch unkorrekte kulturelle Aneignung von Rezepten (meistens eher politisch unkorrekte) wurde gestritten.
Die Community spiegelte damit immer stärker die zunehmend gespaltene, zerrissene, von Benachteiligung und Hass geprägte US-Gesellschaft. Die kleine Gruppe der Moderatoren konnte das immer weniger auffangen. Wie auch – allein schon wegen der Größe der Community? Geht man davon aus, dass – erstens – von den drei Moderatoren wegen Urlaub, Weiterbildung, Recherche und anderer Tätigkeiten ohnehin nur zwei Moderatoren permanent in der Community ihren Dienst versehen, und – zweitens – rund ein Viertel der Mitglieder jeweils aktiv sind, dann kommen auf einen Moderator rund 9.600 Mitglieder. Wer kann da noch
den Überblick behalten? Manche vermuten deshalb, die New-York- Times-Facebook-Gruppe scheiterte an ihrer eigenen Größe.
Doch man hätte investieren können. Wie gut allerdings das Konzept des Zubringers fürs bezahlte Digital-Abo funktionierte, darüber äußerste sich die New York Times nicht. Aus kaufmännischer Sicht muss man allerdings
davon ausgehen, dass die Konvertierungsraten offenbar nicht so hoch waren und die entsprechenden Perspektiven nicht so attraktiv eingeschätzt wurden, um in den Headcount zu investieren.
Und noch ein weiterer Aspekt könnte den Ausschlag gegeben haben: Die Facebook-Gruppe „NYT Cooking Community“ wurde im Februar 2019 gegründet und wuchs sehr schnell. Wahrscheinlich schneller als die eigene Community auf „Home-Ground“. Es hätten auch Kannibalisierungseffekte eingetreten sein können: Nutzer, die sagen, dass ihnen die Facebook-Gruppe genüge und sie keinen Bedarf an einer weiteren Cooking-Community hätten.
Heute – am 10. April – zählt die Facebook-Gruppe „NYT Cooking Community“ 75.462 Mitglieder. Am gestrigen Tag waren es noch 75.480. Und das Key-Visual ziert immer noch das T in Fraktur der New York Times.
New York Times Cooking Community
https://www.facebook.com/ groups/nytcooks
- Typ: Private Facebook-Gruppe Mitglieder: ca. 76.000 Mitglieder
- Start: 02/2019, aufgegeben März 2021
- Mehrwert: Die Gruppe bot neben Kommunikation und Austausch auch Rezepte, Kochtipps und Teaser zu Rezepten und Inhalten auf NYT COOKING auf der Website der NYT
NYTCOOKING
https://cooking.nytimes.com
- Typ: Subdomain
- Start: Gegründet 2018
- Inhalte: User- und Experten-Re- zepte und Kochtipps. Mehr als 260.000 Kommentare („Notes“) Abonnement: 1,25 US$ pro Wo- che, 40 US$ p.a., enthalten ist Zugang zu allen digitalen Ange- boten und Produkten der NYT Abonnenten: ca. 130.000 Digital- Abonnements
- Umsatz: ca. 5 Mio. US$ p.a.
Gründe
- Moderationsintensität: Erbitterte Debatten über Essen, Rasse, kul- turelle Aneignung von Rezepten und Social Distancing. Essen ist politisch, zerrissene Gesellschaft.
- Konvertierungsraten: rechtfertigen offenbar keine Investitionen in Headcount
- Kannibalisierungseffekte: mit eigener Community befürchtet?
Dieser Text wurde in dpr Digital Publishing Report April 2021 erstveröffentlicht. Die Ausgabe kann hier kostenlos heruntergeladen werden: